Instantie: Hof van Justitie EG, 27 juni 1990

Instantie

Hof van Justitie EG

Samenvatting


Opnieuw is de vraag aan de orde of een uitkering die de overheid aan
ambtenaren en werknemers verstrekt, loon is in de zin van art. 119
EEG-Verdrag

Volledige tekst

Urteil

1. Das Arbeitsgericht Hamburg hat mit Beschluss vom 12. Dezember 1988,
beim Gerichtshof eingegangen am 9. Februar 1989, gemss Artikel 177 EWG-Vertrag
zwei Fragen nach der Auslegung von Artikel 119 EWG-Vertrag und der Richtlinie
75/117 EWG des Rates vom 10. Februar 1975 zur Angleichung der
Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten ber die Anwendung des Grundsatzet des
gleichen Entgelts fr Mnner und Frauen (ABl. L45, S. 19) zur Vorabentscheidung
vorgelegt

2. Diese Fragen stellen sich in einem Rechtsstreit zwischen der Klgerin
Kowalski und ihrem ehemaligen Arbeitgeber, der Freien und Hansestadt Hamburg,
ber den Anspruch der Klgerin auf bergangsgeld anlsslich ihres Ausschiedens aus
dem Berufsleben

3. Aus den Akten ergibt sich, dass fr das fraglich Arbeitsverhltnis der
BundesAngestelltentarifvertrag (BAT) galt. Gemss 62 BAT haben
vollbeschftigte Arbeitnehmer, die die Voraussetzungen hierfr erfllen, am Tage
der Beendigung des Arbeitsverhltnisses Anspruch auf ein bergangsgeld

4. Unter Berufung auf diese Vorschrift versagte die Beklagte der Klgerin
die Zahlung des bergangsgelds mit der Begrndung, sie sei teilzeitbeschftigt
gewesen

5. Die Klgerin sah darin eine gesetzwidrige mittelbare Diskriminierung
und erhob beim Arbeitsgericht Hambrug Klage. Nach Auffassung des
vorlegenden Gerichts wirft diese Klage Fragen nach der Auslegung der artikel
117 und 119 EWG-Vertrag sowie der Richtlinie 75/117 auf. Es hat daher das
Verfahren ausgesetzt und dem Gerichtshof folgende Fragen zur Vorabentscheidung
vorgelegt:

1. Liegt ein Verstoss gegen artikel 119 des EWG-Vertrages von 1957 in
der Form der “mittelbaren Diskriminierung von Frauen” vor, wenn ein
Tarifvertrag fr den ffentlichen Dienst der Bundesrepublik Deutschland ein
bergangsgeld in Hhe von bis zu vier Monatsgehltern, dessen historische
Grundlage im Beamtenrecht liegt, bei unverschuldetem Ausscheiden aus dem
Angestelltenverhltnis (insbesondere bei Erreichen der Altersgrenze,
entsprechender Pensionierung, Arbeitsfhigkeit oder wesentlicher Herabsetzung
der Arbeitsfhigkeit) vorsieht, jedoch Angestellte, mit denen nicht die volle
regelmssige Arbeitszeit (38 Stunden pro Woche) vereinbart worden ist, von der
Zahlung dieses bergangsgeldes ausnimmt, und der anteil der
teilzeitbeschftigten Frauen an der Gesamtzahl der teilzeitbeschftigten
Angestellten, die unter den Tarifvertrag fallen, erheblich grsser ist als der
Frauenanteil an der Gesamtzahl der unter den Tarifvertrag fallenden
vollzeitbeschftigten Angestellten?

2. Fr den Fall der Bejahung der Frage 1: Gebieten Artikel 119 in
Verbindung met Artikel 117 des EWG-Vertrges und/oder die Regelung der
Richtlinie 75/117/EWG des Rates, dass den Teilzeitbeschftigten entgegen der
Regelung im Tarifvertrag ein (dem Verhltnis des Umfangs ihrer Beschftigung
entsprechender) Anspruch auf das bergangsgeld zusteht, oder scheitert ein
derartiger Anspruch an der Regelungsautonomie der Tarifvertragsparteien?

6. Wegen weiterer Einzelheiten des Sachverhalts des Ausgangsverfahrens,
der fraglichen gemeinschaftsrechtlichen Vorschriften, des Verfahrensablaufs
und der beim Gerichtshof eingereichten schriftlichen Erklrungen wird auf den
Sitzungsbericht verwiesen. Der Akteninhalt wird im folgenden nur insoweit
wiedergegeben, als die Begrndung des Urteils dies erfordert

Zur ersten Frage

7. Die erste Frage des vorlegenden Gerichts geht dahin, ob Artikel 119
EWG-Vertrag der Regelung eines Tarifvertrags fr den ffentlichen Dienst
entgegensteht, nach der die Arbeitgeber nur vollzeitbeschftigten Arbeitnehmern
ein bergangsgeld beim Ausscheiden aus dem Arbeidsverhltnis zahlen, wenn zur
Gruppe der Teilzeitbeschftigten weit mehr Frauen als Mnner gehren

8. Zur Beantwortung dieser Frage ist zunachst zu prfen, ob das den
Arbeitnehmern beim Ausscheiden aus dem Arbeitsverhltnis gewhrte bergangsgeld
in den Anwendungsbereich von Artikel 119 EWG-Vertrag fllt

9. Wie der Gerichtshof entschieden hat, umfasst der Begriff des Entgelts
im Sinne von Artikel 119 Absatz 2 alle gegenwrtigen oder knftigen in bar onder
in Sachleistungen gewhrte Vergtungen, vorausgesetzt, dass sie der Arbeitgeber
dem Arbeitnehmer wenigstens mittelbar aufgrund des DienstVerhltnisses zahlt
(vgl. zuletzt das Urteil vom 17. Mai 1990 in der Rechtssache 262/88,
Barber/Guardian Royal Exchange Assurance Group [Rechtspraak Nemesis 1990 nr
116], noch nicht in der amtlichen Sammlung verffentlicht, Randnr. 12).
Demnach schliesst der Umstand, dass bestimmte Leistungen nach Beendigung des
Arbeitsverhltnisses erbracht werden, ihren Entgeltcharakter in Simme des
artikels 119 EWG-Vertrag nicht aus

10. Das dem Arbeitnehmer beim Ausscheiden aus dem Arbeitsverhltnis
gewhrte bergangsgeld stellt eine Art aufgeschobenes Entgelt dar, auf das der
Arbeitnehmer aufgrund seines Arbeitsverhltnisses Anspruch hat, das ihm aber
erst bei der Beendigung des Arbeitsverhltnisses gezahlt wird, um ihm die
Anpassung an die dadurch entstandenen neuen Umstnde zu erleichtern (vgl.
ebenso das Urteil vom 17. Mai 1990 in der Rechtssache 262/88)

11. Hieraus folgt, dass ein dem Arbeitnehmer beim Ausscheiden aus dem
Arbeitsverhltnis gewhrtes bergangsgeld grundstzlich unter den Begriff des
Entgelts im Sinne des artikels 119 EWG-Vertrags fllt

12. Da artikel 119 zwingenden Charakter hat, ist das Verbot der
diskriminierenden Ungleichbehandlung von mnnlichen und weiblichen
Arbeitnehmern nicht nur fr die Behrden verbindlich, sondern es erstreckt sich
auch auf alle Tarifvertrge, die die abhngige Erwerbsttigkeit kollektiv regeln,
und auf alle Vertrge zwischen Privatpersonen (vgl. Urteil vom 8. April 1976 in
der Rechtssache 43/75, Defrenne, Slg. 1976, 455, Randnr. 39)

13. Aus den Akten ergibt sich, dass das bergangsgeld beim Ausscheiden
aus dem Arbeitsverhltnis nach der einschlgigen Bestimmung des Tarifvertrags
nur vollzeitbeschftigten Arbeitnehmern zusteht. Ein Tarifvertrag wie der
hier in Rede stehende, der es den Arbeitgebern gestattet, zwischen zwei
Gruppen von Arbeitnehmern – denjenigen, die eine bestimmte Mindestzahl von
arbeitsstunden pro Woche oder pro Monat leisten, und denen, die bei gleicher
Arbeit diese Mindeststundenzahl nicht erreichen – einen Unterschied beim
Gesamtentgelt aufrechtzuerhalten, fhrt jedoch faktisch zu einer
Diskriminierung der weiblichen Arbeitnehmer im Verhltnis zu den mnnlichen,
wenn sich herausstellt, dass prozentual erheblich weniger Mnner als Frauen
teilzeitbeschftigt sind. Ein derartiger Tarifvertrag muss grundstzlich als
Artikel 119 EWG- Vertrag zuwiderlaufend angesehen werden. Anders wre dies
nur, wenn die unterschiedliche Behandlung der beiden Arbeitnehmergruppen durch
objektive Faktoren gerechtfertigt ist, die nichts mit einer Diskriminierung
aufgrund des Geschlechts zu tun haben (vgl. Urteil vom 13. Mai 1986 in der
Rechtssache 170/84, Bilka-Kaufhaus, Slg. 1986, 1607)

14. Im Verfahren hat die Stadt Hamburg im wesentlichen geltend gemacht,
die Teilzeitbeschftigten kmen fr ihren Unterhalt und den Unterhalt ihrer
Familien nicht ausschliesslich mit ihrem Arbeitsentgelt auf und demgemss
bestehe fr den Arbeitgeber keine Verpflichtung zu einer vorbergehenden
Untersttzung Teilzeitbeschftigter

15. Es ist Sache des vorlegenden Gerichts – das allein fr die
Beurteilung des Sachverhalts zustndig ist – festzustellen, ob und inwieweit
eine tarifvertragliche Bestimmung, die unterschiedslos fr alle Arbeitnehmer
gilt, im Ergebnis die Frauen jedoch strker trifft als die Mnner, durch
objektive Grnde gerechtfertigt ist, die nichts mit einer Diskriminierung
aufgrund des Geschlechts zu tun haben

16. Auf die erste Frage des vorlegenden Gerichts ist somit zu antworten,
dass Artikel 119 EWG-Vertrag dahin auszulegen ist, dass er der Anwendung einer
Bestimmung eines Tarifvertrags fr den nationalen ffentlichen Dienst
entgegensteht, die es den Arbeitgebern gestattet, Teilzeitbeschftigte von der
Zahlung eines bergangsgeldes beim Ausscheiden aus dem Arbeitsverhltnis
auszunehmen, wenn sich herausstellt, dass prozentual erheblich weniger Mnner
als Frauen teilzeitbeschftigt sind, es sei denn, der Arbeitgeber legt dar,
dass diese Bestimmung durch objektive Faktoren gerechtfertigt ist, die nichts
mit einer Diskriminierung aufgrund des Geschlechts zu tun haben

Zur zweiten Frage

17. Gegenstand der zweiten Frage sind die Folgen, die sich –
insbesondere im Hinblick auf die Regelungsautonomie der Tarifvertragsparteien
– ergben, wenn das vorlegende Gericht die Unvereinbarkeit einer Bestimmung wie
der vorliegenden Tarifvertragsklausel mit Artikel 119 EWG-Vertrag feststellte

18. Wie der Gerichtshof im Urteil vom 8. april 1976 in der Rechtssache
43/75 entschieden hat, ist Artikel 119 EWG-Vertrag hinreichend bestimmt, so
dass ein Betroffener vor einem innerstaatlichen Gericht unter Berufung auf
diese Bestimmung verlangen kann, dass das Gericht nationale
Rechtsvorschriften, einschliesslich tarifvertraglicher Regelungen, die mit
Artikel 119 unvereinbar sind, ausser Anwendung lsst

19. Aus dem Urteil vom 13. Dezember 1989 in der Rechtssache C- 102/88
(Ruzius-Wilbrink, noch nicht in der amtlichen Sammlung verffentlicht) ergibt
sich, dass in einem Fall mittelbarer Diskriminierung die Angehrigen der
benachteiligten Gruppe, sei es die der Mnner oder der Frauen, entsprechend dem
Unfang ihrer Beschftigung Anspruch auf Anwendung der gleichen Regelung wie die
brigen Arbeitnehmer haben. Dies gilt auch fr diskriminierende Regelungen in
Tarifvertrgen

20. Somit ist auf die zweite Frage zu antworten, dass im Falle einer
mittelbaren Diskriminierung durch eine Bestimmung eines Tarifvertrags die
Angehrigen der dadurch benachteiligten Gruppen entsprechend dem Umfang ihrer
Beschftigung Anspruch auf die gleiche Behandlung und auf Anwendung der
gleichen Regelung wie die brigen Arbeitnehmer haben, wobei diese Regelung,
solange Artikel 119 EWG-Vertrag nicht ordnungsgemss in das innerstaatliche
Recht umgesetzt ist, das einzig gltige Bezugssystem bleibt

Kosten

21. Die Auslagen der Kommission der Europaschen Gemeinschaften, die
Erklrungen beim Gerichtshof eingereicht hat, sind nicht erstattungsfhig. Fr
die Parteien des Ausgangsverfahrens ist das Verfahren ein Zwischenstreit in
dem bei dem vorlegenden Gericht anhngigen Rechtsstreit; die Kostenentscheidung
ist daher Sache dieses Gerichts

Auf diesen Grnden hat der Gerichsthof auf die ihm vom Arbeitsgericht
Hamburg met Beschluss vom 7. Februar 1989 vorgelegten Fragen fr Recht
erkannt:

1. Artikel 119 EWG-Vertrag ist dahin auszulegen, dass es der Anwendung
einer Bestimmung eines Tarifvertrags fr den nationalen ffentlichen Dienst
entgegensteht, die er den Arbeitgebern gestattet, Teilzeitbeschftigten von der
Zahlung eines bergangsgeldes beim Ausscheiden aus dem Arbeitsverhltnis
auszunehmen, wenn sich herausstellt, dass prozentual erheblich weniger Mnner
als Frauen teilzeitbeschftigt sind, es sei denn, der Arbeitgeber legt dar,
dass diese Bestimmung durch objektive Faktoren gerechtfertigt ist, die nichts
mit einer Diskriminierung aufgrund des Geschlechts zu tun haben

2. Im Falle einer mittelbaren Diskriminierung durch eine Bestimmung
eines Tarifvertrags haben die Angehorigen der dadurch benachteiligten Gruppe
entsprechend dem Umfang ihrer Beschaftigung Anspruch auf die gleiche
Behandlung und auf Anwendung der gleichen Regelung wie die brigen
Arbeitnehmer, wobei diese Regelung, solange artikel 119 EWG-Vertrag nicht
ornungsgemss in das innerstaatliche Recht umgesetzt ist, das einzig gltige
Bezugssystem bleibt

Rechters

Mrs Kakouris, Schockweiler, Mancini, O’Higgins en Diez de Velasco